Grosser Österreichischer Wohnbaupreis 1990
"Umbau - Ausbau"
Jury
Arch. Leo Balmer, Basel
Mag. Elsa Prochaska, Wien
Dipl.Ing. Walter Chramosta, Wien
Dipl.Ing. Dietmar Eberle, Bregenz
Dipl.Ing. Heinz Wondra, Salzburg
Juryprotokoll
Projekt Nr. 38/ 1. Preis
Sanierung Stuckgasse 3, Wien
Die Qualität liegt in der überzeugenden Analyse des
Vorhandenen und in der Strategie der unprätentiösen,
aber wirkungsvollen Art von dessen Weiterführung. Von der
Konzeption bis zum Detail wird ein gleichbleibend hohes Maß
der Durcharbeitung gehalten. Der Dachausbau fügt sich
organisch an den Bestand, er atmet den erfreulich einfachen Geist
des darunter Liegenden, ohne es übertrumpfen zu wollen.
1070 Wien, Stuckgasse 3
Erbaut um 1820, Sockelsanierung nach WSG 84
Bauzeit: 11 Monate 1988/89
Eine alltägliche Planungsaufgabe
Ein großteils bewohntes Wiener Vorstadthaus in
abgewohntem Zustand ist nach den Richtlinien des WWSG zu
sanieren. Das mietrechtliche, organisatorische und haustechnische
Arbeitsfeld ist schnell abgesteckt.
Bei den Vorarbeiten zum Entwurf zeigt die bestehende
räumliche und organisatorische Konzeption des Hauses
Qualitäten, die zu Grundsätzlichen Überlegungen im
Umgang mit Althaussubstanz und zu Assoziationsketten zum Thema
Wohnen anregen. Der Ansatz der Betrachtungsweise von historischen
Bauten verlässt dabei bald einen ästhetisierenden
Standpunkt, wie er etwa bei Paul Mebes zu finden ist und richtet
sich strukturiellen Aspekten des Bauwerks zu.
Das 3-geschoßige Haus ist an einem noch weitgehend
intakten und in einem Guss geschaffenen Straßenraum des
Vormärz mit kaum 7 Meter Breite gelegen. Es wurde vermutlich
von Kleingewerbetreibenden und Arbeitern mit ihren Familien
bewohnt. Die Parzelle ist zur Straße hin 9 Fensterachsen
breit, die Tiefe beträgt knapp 13 Meter. Die Bebauung folgt
in Nord-Südrichtung der Straßenflucht und
schließt an den seitlichen Feuermauern mit kurzen
Seitentrakten, die den kleinen Hof an 3 Seiten U-förmig
begrenzen. Die 4. Seite öffnet sich nach Westen zu den
Nachbargärten. Die Trakte sind alle nur 1-Raum tief.
Es gibt nur 2 Arten von Räumen, deren Verhältnis
zueinander durch ihre Größe und ihren Zweck bestimmt
scheint. Die dadurch ausgeprägte Hierarchie folgt der These
von Louis Kahn von "bedienten und dienenden Räumen". Der
Große Raum [X] ist von annähernd quadratischem
Zuschnitt, 2 Fensterachsen breit und in seiner Zweckbestimmung
offen gehalten. Der kleine Raum [Y] ist von rechteckigem
Zuschnitt, 1 Fensterachse breit und von dem zu jener Zeit
üblichen "environment" einer Wohnung, bestehend aus einer
offenen Feuerstelle dominiert.
Die 2 Stockwerke bedingen ein Stiegenhaus [Z], das zu einer
Irritation der Struktur und damit zu einer differenzierten
Raunkonfiguration führt.
Es erscheint in diesem Bereich die Nutzung als strukturielle
Einheit noch möglich, doch ist auch die getrennte Nutzung
mit eingepflanzt. Es verwundert daher auch nicht, dass gerade an
dieser Stelle knapp 80 Jahre später die Bauparzelle
erweitert werden konnte und es zu einer Harmonisierung des Duktus
der Struktur kommt.
Die Wechselwirkung von Struktur, Irritation und
Harmonisierung, deren Positionen sich im Zeitfeld ständig
neu bestimmen, scheint somit jene Energie freizusetzen, die in
"architektonischen Organismen" Veränderungen auslösen
und dynamische Prozesse bewirken. Diese Beobachtung gilt
Maßstabs los.
Der Gehalt solcher Irritationsstrategien, die in der heutigen
Architekturdiskussion hohen Stellenwert besitzen, ist aber immer
vom strukturellen Umfeld her und dem Potential, das in
Wechselwirkung mit ausgleichenden und harmonisierenden Tendenzen
aufgebaut werden kann, zu bewerten.
Die horizontale Erschließung der Stockwerke erfogt
über parasitäre an das Gebäude angeklipste
Pawlatschen, die durch ihre exponierte Lage in jeder Hinsicht als
transparente Zone vor den "eigenen 4 Wänden" fungiert und
mit dem Hof, der ursprünglich die Wasserstelle und 2 Aborte
aufnahm, einen komplexen halböffentlichen Raum schafft.
Uns zeigt sich, dass in der Konzeption dieses anonymen Hauses
einige der Ergebnisse der Moderne bereits anklingen, wie:
• die Ost-Westorientierung als Hauptrichtung,
• die Einraum-Trakttiefe mit der Möglichkeit der
2-seitigen Belichtung und Querlüftung,
• die Elementarisierung sowohl in funktioneller als auch
formaler Hinsicht.
Seit etwa 160 Jahren und der damit einhergehenden Entwicklung
vermag dieses "Konzept des Hausens" sich auf geänderte
Lebensumstände laufend einzustellen und mit
geringfügigen Anpassungen angenehmes Wohnen in der Stadt zu
ermöglichen.
Ausgehend von diesen Überlegungen erschienen im
Loos'schen Sinne erschienen beim Bestand nur geringe
Verbesserungen angebracht. Diese Beschränkten sich auf das
Zusammenlegen einiger Kleinstwohnungen im Erdgeschoß und 1.
Stock. Die vorgefundene Struktur der Raumelemente wurde
beibehalten.
Der Dachausbau ist vom Ansatz her hingegen als Neubau
konzipiert und wäre als Aufstockung die konsequentere
Lösung. Doch erzwangen die Förderungsbestimmungen und
gar nicht so sehr der Stadtbildschutz die Form des Dachausbaus.
Das Dachgeschoss ist nur von 1 Wohnung belegt. Ausgehend von der
zum Hof hin orientierten Gebäudestruktur wird auch die
Wohnungserschließung so ausgerichtet. Dies wird
räumlich durch das Freistellen der großzügig
geöffneten aufgestockten Hofwände unterstützt, die
die Wohnung als ein fließendes Raumkontinuum erleben lassen
und im Frank'schen Sinn an die Bohemienwohnung im Dach des
bürgerlichen Hauses anknüpfen. Das Raumprofil wird aus
der Dachform abgeleitet, gegen Osten ermöglichen 4 nach oben
wegschwingende Dachflächenfenster das Hinaustreten in den
schmalen Straßenraum.
Bei der Materialwahl der Oberflächen wurde die Palette
der vorhandenen Werkstoffe kaum erweitert. Bodenbeläge aus
Kehlheimer Platten und Holz, sparsam eingesetzte keramische
Beläge an Wand und Boden, Blech und Strangfalzziegel,
Lärchenbohlen und Eisenvollprofilkonstruktionen und
weiß verputzte Räume bestimmen das Bild. Haustechnisch
sind nur einfache Standardlösungen eingebaut worden. Fenster
und Türen wurden lediglich getauscht wobei technologisch
detailliert auf heutige Produktionsweisen in der Detailplanung
eingegangen wurde. Die Straßenfassade wurde in Abstimmung
mit der MA7 nach stadtbildpflegerischen Gesichtspunkten
instandgesetzt.
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