Johannes Zeininger

Nahversorgung und Stadtstruktur

Anlässlich des von der Gemeinde Wien durchgeführten Kioskwettbewerbes und der in der Folge mit den Preisträgern stattgefundenen Arbeitsbesprechungen unter Federführung der MA19 entstanden folgende Überlegungen:

Die Stadtverwaltung ist zunehmend aus den Bereichen Kleinhandel und Kleinstdienstleistungen mit dem Wunsch konfrontiert, in urbanen Zonen direkt im öffentlichen Straßenraum der Stadt Kioske aufzustellen. Geringe Errichtungskosten und die unmittelbare Nähe zum Passanten und potentiellen Kunden sind wichtige Antriebskräfte dafür. Andererseits ist durch Konzentrationsentwicklungen im Handels- und Dienstleistungsgewerbe ein zunehmender Druck auf die Nahversorgung auch in traditionell gut versorgten Stadtteilen wahrzunehmen, obwohl Altbaumieten die Betriebskosten noch relativ gering halten. Für die neuzuschaffende Nahversorgung in städtischen Randlagen und in Strukturwandel begriffenen neuen Wohnquartieren sind diese Randbedingungen zusätzlich verschärft. Dieser Umstand zeigt sich in der Regelmäßigkeit von Werkberichten über neue Wohnanlagen, in die, einem urbanen Ansatz folgend, entsprechende Flächen zur Nahversorgung in der Planungsphase integriert werden, für die sich bei der Vergabe jedoch kaum Betreiber finden, die zu den vorgegebenen Bedingungen angesiedelt werden können. Durch Neubaukosten bedingte hohe Grundmieten, höhere Erstausstattungskosten, das größere unternehmerische Risiko des erst im Aufbau begriffenen lokalen Kundenpotentials und die oft projektbedingte Zufälligkeit der Lagegunst führen in der Regel zu Ansiedlungsproblemen und erschweren dadurch die städtebauliche Dimension einer erwünschten Mehrung des urbanen Umfeldes einer Stadt.

Hier setzt unser Anliegen ein. In den über das Thema Kiosk hinausführenden Arbeitsgesprächen brachten wir den Vorschlag ein, Marktplätze in zeitgemäßer Form als städtebauliche Partikel verstärkt bei Stadterweiterungsgebieten zu berücksichtigen. Im Vergleich zu Handels- und Dienstleistungsflächen in konventionellen Hochbauten sehen wir folgende Vorteile:

• Bereits bei der Flächenwidmungsplanung können über Handhabung des Instruments "Marktgebiet" im Zusammenspiel mit der Verkehrsplanung gezielt günstige Randbedingungen für einen Standort geschaffen werden.

• Durch das Schaffen einer konzentrierten technischen Infrastruktur als städtebauliche Vorleistung können Standortnebenkosten günstig beeinflusst werden.

• Die Errichtungskosten im Vergleich zu konventionellen Hochbauflächen liegen deutlich niedriger und helfen die Mietkosten zu reduzieren.

• Die Errichtung, Organisation und Vorfinanzierung solcher Markteinheiten kann sowohl dezentral als auch von einem Investor erfolgen.

• Eine urbane Alternative zum üblichen Erscheinungsbild von städtischen Einkaufszentren und Fachmärkten im Marktsegment des täglichen Bedarfs wird geschaffen.

Als passionierte Stadtwanderer nehmen wir wahr, dass zunehmend städtische Aktivitäten zur Rückgewinnung eines urbanen Umfeldes sich den Mechanismen von Marktstätten annähern, die nicht ohne Grund auch aus entwicklingsgeschichtlicher Sicht mit zu den Kristallisationspunkten urbanen Zusammenlebens zählen. Sind es nun die Bezirks- und Straßenfeste, temporäre Bauern- oder Trödlermärkte, neue marktähnliche "shop in shop" Verkaufsorganisationsformen in großen Handelseinheiten bis hin zum Christkindlmarkt am Rathausplatz, allen Konzepten liegt das Prinzip der Schaffung von konkretem "öffentlichen Raum" mit der Möglichkeit des Kontakts auf der Ebene von Blick, Geruch, Laut bis hin zum lustvollen Körperkampf eines Gedränges zu Grunde.

Berichte von Weltgereisten über fernen Metropolen, wie z.B. Seoul, Hongkong und anderen Agglomerationen erzählen von täglich in den Abendstunden wie eine Flut über die Stadt hereinbrechenden temporären Straßenmärkten in zuvor mit Verkehr überfüllten Straßen, die die Nahversorgung und abendliche Verpflegung von hunderttausenden Menschen in den einzelnen Stadtteilen auf offener Straße bei jedem Wetter leisten. Diese für Mitteleuropäer unvorstellbare urbane Ballung menschlichen Lebens muss jedoch in diesem Zusammenhang die Weite des Definitionsspielraums von Urbanität erahnen lassen und Neugierde auf Entwicklungen wecken.

Aus dieser Sichtweise erscheint es städtebaulich interessant eine grundsätzliche Studie zur zeitgemäßen Adaptierung des flächenwidmungsmäßigen Instruments "Marktgebiet" anzustellen und die theoretischen Kenntnisse als Strategie bei der Adaption bestehender Märkte und besonders bei der Neukonzeption von Marktplätzen im Umfeld von Stadterweiterungsarealen durchzuführen.

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