Johannes Zeininger

Nachhaltiger Wohnungsbau in Österreich

Reihe Ökologie und Umwelt

Versuch einer Standortbestimmung

Architektur hat verstärkt Stellenwert im allgemeinen, öffentlichen Diskurs. Im globalen Feld des Wettbewerbs präsentieren sich Nationen und Städte in ehrgeizigen Bauprogrammen und herausragenden baulichen Leistungen. Im Mittelpunkt stehen dabei Bauten des Verkehrs und der Kommunikation, der privaten wie öffentlichen Verwaltung und urbaner Zentraleinrichtungen deren Abbilder omnipräsent vom Aufbruch in eine neue Epoche künden. Es wird weltweit intensiv und unter medialer Beobachtung am visionären baulichen Ausdruck unserer im Umbruch befindlichen Welt gearbeitet.

Das Fließende, gestützt auf grenzenlose Vernetzung, wird zur Leitmetapher heutigen architektonischen Designs. Die Vorzüge und Perspektiven von Ortsungebundenheit und Entgrenzung werden gesellschaftlich und technologisch abgetastet.

In diesem Umfeld driftet die Wohnung als Behausung an den Rand des aktuellen Wahrnehmungsfelds. So wie Josef Frank zu Beginn des letzten Jahrhunderts den Wohnungsbau als die epochenrelevante architektonische Bauaufgabe postuliert hat, so gibt er nun die Stafette weiter und läuft aus. Wurde zu Beginn der Moderne die "Wohnungsfrage" in das direkte politische Handlungsfeld gehoben, ist heute eine Privatisierungstendenz unübersehbar. Der Verkauf von im öffentlichem Besitz befindlichen Wohnraum, wie die Diskussion um die Gleichstellung von genossenschaftlichen und gewerblichen Bauträgern belegen diese Entwicklung. Der Begriff der Wohnung als "Grundbedürfnis des Menschen" wurde durch ihre massenhafte produktartige Verfügbarkeit zunehmend durch den Begriff der "Wohnung als Ware" im allgemeinen Verständnis abgelöst.

Blickt man auf die Entwicklung des österreichischen Wohnbaus aus ökologisch orientierter Sicht, so muß neben den fraglos anerkennbaren Leistungen weiterhin die Frage nach einem umfassenden zukunftorientierten Planungsansatz für das Wohnen gestellt werden.

Als aus subjektiver Sicht besonders bemerkenswerte Projekte der österreichischen Frühphase möchte ich hier zum ersten den Beitrag von Hugo Häring in der Wiener Werkbundsiedlung herausgreifen.

Bild 1/ Reihenhäuser 1130, Werkbundsiedlung Hugo Häring, 1930-32

> Österreichische Architektur/ Band III/2, F. Achleitner

Das einfache Reihenhauskonzept mit großzügig aufgeglaster Südfront mit flexiblem Sonnenschutz, ein Flachbau mit ausschließlicher Orientierung der Haupträume zur Sonne und dem Wohngarten hin, in formalem Ausdruck und Funktion der Spur des Wohnens in einem umfassenden Sinn folgend, ist ein gültiges Beispiel für nachhaltiges Bauen. Hier nimmt ein Entwicklungsstrang seinen Anfang, der keine 200 Meter weiter in der schlichten Holzfertighaussiedlung der Nachkriegszeit von Roland Rainer und Carl Auböck weitergeführt, die österreichische Entwicklung von naturverbundenen, verdichteten Flachbausiedlungen aussteckt. Auf dieser Entwicklungsschiene reihen sich in der Folge Meilensteine wie die Südstadt in Maria Enzersdorf, Puchenau I und II bei Linz, die den Weg für eine mittlerweile als Wohnform präsente Siedlungsstruktur weisen.

Bild 2/ Mustersiedlung 1130 Veitingerg. 64-66, C.Auböck u. R.Rainer, 1952-54

> Österreichische Architektur/ Band III/2, F. Achleitner

Das andere Projekt ist die Heubergsiedlung, die von Adolf Loos in ihren Grundzügen geprägt wurde. Bedeutsam erscheint mir aus dem Blickwinkel der Moderne hier, dass beim Wohnkonzept, bedingt durch die prekäre materielle Not, die Versorgung mit Nahrung unmittelbar in der Wohnumgebung, wie sie agrarischen Strukturen vertraut ist, auch als Lösungsmodell einer avantgardistischen kulturellen Haltung zugänglich ist. Haus und Versorgungsgarten werden als sinnstiftendes Wohnmodell ausgelegt. Die volksbildnerische Preisung der Zuchini durch Loos zum Wiener Grundnahrungsmittel ist in Wien noch heute bekannt.

Bild 3/ "Heubergsiedlung" 1170, Adolf Loos u. Hugo Mayer (MA22), 1921-24

> Österreichische Architektur/ Band III/2, F. Achleitner

Eine beeindruckende Aktualität in Anbetracht des heutigen Notstands bei Lebensmittel ist festzustellen. Das im Kampf ums Überleben in Blumentöpfen und Bottichen gezogene Gemüse auf Balkonen und Hinterhöfen in Moskauer oder exjugoslawischen Wohnblocks, die hysterischen Angstschübe und Ratlosigkeit der westlichen Welt gegenüber ihrer hochentwickelten Nahrung haben unübersehbar auch Potential für den Definitionsprozess von zukünftigem Wohnen.

Erinnert man sich darüber hinaus der von der österreichischen Regierung in Kioto eingegangenen Ziele zur Eindämmung des CO²-Ausstosses und vergleicht diese mit der, trotz aller Zielvorgaben und auch tatsächlich greifender Maßnahmen, weiterhin ansteigenden CO²-Emission, so wird erkennbar, in welchen Schlamassel wir trotz aller Bemühungen hineindriften.

Energetische Alternativsysteme zur Nutzung der Sonnenenergie, wurden anfangs als Hippie- und Aussteigerszenario aus dem sonnigen Kalifornien bestaunt. Die Ressourcenverknappung und drohende wachsende Umweltprobleme haben mittlerweile dazu geführt, dass die Nutzung erneuerbarer Energien, allen voran der Sonne, als positive Zielsetzung allgemein anerkannt wird.

Betrachtet man Wohnbauprojekte der letzten 10 Jahre, so muß jedoch mit Ernüchterung festgestellt werden, dass im Bereich von Niedrigenergiesiedlungen bzw. kleineren Wohnanlagen, die der Zersiedelung entgegenwirken könnten, nur wenige Projekte realisiert werden konnten. Das technische Know-How dafür ist mittlerweile erprobt vorhanden. Es ist in diesem Zusammenhang nicht nur in Österreich eine Tatsache, dass die Hauptlast der Entwicklung ökologischen Bauens fast ausschließlich auf das Engagement von privaten BauherrInnen fällt. Erst in jüngster Zeit beginnen Bauträger und die öffentliche Hand, nach Bundesländern gestaffelt, zögerlich hier mitzumachen. Einen negativen Hauptfaktor bildet dabei der bis in die jüngste Zeit niedrig gehaltene Ölpreis, der gängige Kostennutzenrechnungen ohne Berücksichtigung von "grauen Kosten" durch Herstellungs- und Recyclingenergiebilanzen als Liebhaberei strafte.

Bild 4/ Völs, WA "Trichter-Sonnenhausgruppe", Arch. J.Kiraly

Bild 5/ Purkersdorf, Wohnanlage, Arch: W.Reinberg, J.Riesenhuber, 1984

Eine Sondersituation im Wohnungsbau entstand in Vorarlberg. Begründet in lokalen Siedlungsformen entstehen mit Beginn der 80er Jahre vorwiegend in Holzbauweise neben einer großen Zahl von Einfamilienhäuser kleine Holzhaussiedlungen, fast ausschließlich im geförderten Wohnungseigentum von Jungfamilien unter enormen Kostendruck. Das Wohnen in der Gruppe, der effiziente Einsatz von leicht zugänglichem Baumaterial und die hohe Bereitschaft der Bewohner den Bau und das Betreiben der Wohnung mit Eigenleistungen zu durchdringen, lässt eine spezifische Baukultur entstehen, die in ihrer Nachhaltigkeit an Konzepten der Siedlerbewegung anknüpft. Aufbauend auf diesem handwerklich orientiertem Bauansatz wurde mit Zunahme der Durchschlagskraft dieser Entwicklung das Konzept für größere Bauaufgaben adaptiert und auf die dafür notwendigen Produktionsbedingungen übertragen. Der in zahlreichen Pionierleistungen bei Einfamilienhäusern von den Planern (oft in enger Teamarbeit mit deren Auftraggeber) gewonnene Erfahrungsschatz an sozialen, architektonischen, funktionellen und bautechnisch-ökologischen Aspekten konnte (für das übrige Österreich relativ rasch) zu einer Umorientierung der öffentlichen Zielvorgaben in Vorarlberg genutzt werden. Neben der hohen Wohnqualität entstand ein innovationsfreudiges Umfeld an Sonderfachleuten und Baubetrieben, die Lösungen im Niedrigenergiebereich zu Standards werden lassen und mittlerweile internationale Beachtung erfahren.

Bild 6/ Schlins, RH "Ruhwiesen" Arch. R.Wäger, 1971-73

> Österreichische Architektur/ Band I, F. Achleitner

Bild 7/ Höchst, WA "Im Fang" Arch: Cooperative, 1979

> Österreichische Architektur/ Band I, F. Achleitner

Bundesweit arbeiten zahlreiche Vereinigungen und Institute wie die Gruppe Energie und Umwelt der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten ehrenamtlich an der Transparentmachung von ökologischer Nachhaltigkeit. Eines der großen Anliegen für den Planungsalltag ist es, die komplette Energiebilanz eines Wohngebäudes einheitlich zu erfassen und für jedermann nachvollziehbar angeben zu können. Hinderlich für dieses Ziel ist dabei jedoch einerseits die Länderstruktur des Bundesgebiets und die daran geknüpften unterschiedlichen rechtlichen und förderungstechnischen Gepflogenheiten, andererseits eine Grundsatzdiskussion zur Einigung auf ein gemeinsames Betrachtungsmodell.

Zur Zeit sind folgende Modelle im Gespräch (gegliedert nach deren Komplexität der Energieerfassung):

• Der LEK (Lines of European K-Values), der lediglich ein Kennwert des Wärmeschutzes eines Gebäudes in Relation zu seiner Gebäudegeometrie darstellt. Die Wärmeverluste durch Lüftung sowie die Gewinne durch Sonneneinstrahlung bleiben unberücksichtigt.

• Der Energieausweis (auf Basis der Euronorm EN 832), der die Bilanz des Heizenergieverbrauchs eines Gebäudes unter Berücksichtigung von Transmissionswärme- und Lüftungsverlusten, solarer Wärmeenergie- und Abwärmegewinne, ähnlich den Kennwerten des Benzinverbrauchs eines Autos, leicht vergleichbar darstellt.

• Der Gebäudetypenschein, der zusätzlich zu den Parametern des Energieausweises möglichst umfassend die Energiebilanz aus einer Fülle ökologischer Kennzahlen berücksichtigt. Ziel dieses Qualitätszertifikats (durch ein "Total Quality"-Bewertungsverfahren ausgestellt) ist die Abkehr von der reinen Nutzenergibilanz zu einer gesamtheitlichen Ökobilanz, die auch die Lagegunst des Grundstücks, graue Energieanteile des Baumaterials, energetische Komponenten der Ver- und Entsorgungssysteme, Unterhalts-, Umnutzungs- und Abbruchbilanzen auf die Gesamtbestandsdauer eines Gebäudes energetisch bewertet darstellt.

Doch kann nachhaltiges Bauen in einer sich stetig konzentrierenden Siedlungsstruktur nicht nur einseitig ausgerichtete Beiwertmaximierung bedeuten. Unsere urbanen Systeme bedürfen nachhaltiger Konzepte des Austauschs. Themen der Stadt- und Siedlungsreparatur bis hin zur Gebäudesanierung, Nachnutzungskonzepte und Gebäuderecycling sind noch kaum angedacht. Wie wird sich die Verteilung der Güter und Nahrung im Umfeld des Wohnens entwickeln. Was wird in 50 Jahren "Nahversorgung" bedeuten?

jmz / 13.02.01

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