Johannes Zeininger
Wechselwirkung von Stadtstruktur und Produktionsweise
am Beispiel der gründerzeitlichen Verlagsproduktion
Für den in dieser Veranstaltung gesetzten Fokus auf den
14. Bezirk möchte ich auf die spezifische Stadtstruktur
entlang der westlichen Stadtradiale der Bezirke 6 und 7, 15 und
16 eingehen. Wobei stadtgeographisch der 14. Bezirk die
räumliche Ergänzung des 15. in die Randzone des
Stadtkörpers darstellt.
Prägend für das heutige Erscheinungsbild sind jene
Urbanisierungsprozesse, die ausgelöst durch die
Industrialisierung der Gesellschaft, die Vorstadtbereiche
schufen, veränderten und überlagerten.
Gestützt auf Untersuchungen von Renate Banik-Schweitzer
und Gerhard Meißl zur "Industriestadt Wien in der
Donaumonarchie" ist für diesen Stadtbereich eine
überproportionale Entwicklung von im Verlag produzierendem
Gewerbe festzustellen.
Damit ist eine arbeitsteilige Produktionsweise gemeint, bei
der verbraucherorientierte Unternehmer die Produktgestaltung, das
Marketing und den Vertrieb übernehmen, die Produktion aber
weitgehend an Klein- und Kleinstunternehmer weitergeben.
Dieses Produktionssystem wurde nach Liberalisierung der
Gewerbeordnung über Handels- und Verlagshäuser bei
vergleichsweise geringem Kapitaleinsatz organisiert. Die Verlage
kooperierten mit sogenannten Stückmeistern, freien Gesellen
und Heimarbeitern - also Auftragnehmer die nach Stück
ähnlich dem Akkord bei Lohnarbeit bezahlt wurden.
Die sich daraus ergebende ökonomische Abhängigkeit
formal selbständiger Handwerker führte auf der
wirtschaftlichen Ebene zu einer allmählichen Angleichung
dieser Schichten an die Lohnarbeiterschaft.
Diese widersprüchliche gesellschaftliche Situation
breiter kleingewerblicher Kreise stellte nach Zusammenbruch der
Donaumonarchie und nachfolgender krisenhafter
Wirtschaftsentwicklung sozialen Sprengstoff für das labile
demokratische System der ersten Republik dar.
Ödem von Horvat´s Figuren seiner "Geschichten aus
dem Wienerwald" zeigen treffend die ins versteinernde
Spießbürgertum abdriftenden Menschen. Die zur
Gewalttätigkeit beziehungsweise Selbstverstümmelung
neigende Ohnmacht der darin handelnden Personen bannt die
Aussichtslosigkeit dieser Gesellschaftschicht in
schmerzlich-literarischer Form.
In der großindustriellen Produktion kam es rasch zur
räumlichen Trennung von Produktion und Regeneration und
damit zur Entmischung von Stadt.
Segregierte Arbeiterwohngebiete entstanden in den neuen
Industriezonen, die sich im Nahbereich der Fabriken entlang der
Eisenbahntrassen ausdehnten.
(Floridsdorf an der Nord- und Nordwestbahn, Simmering an der
Staatseisenbahn, Favoriten (ab 1874 10. Bezirk) an der
Südbahn, in der Folge Industriezonen des 19. Bezirk an der
Franz Josefsbahn, des 13. und 14. Bezirk an der Westbahn)
Daneben entwickelte sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts die
vorhin angesprochene Verlagsproduktion als ein ebenso
volkswirtschaftlich, in nationaler Dimensionen agierender
Wirtschaftszweig.
Motor war hier die Bekleidungsindustrie, gefolgt vom Holz und
Leder verarbeitenden Sektor, doch eigneten sich dazu
sämtliche Branchen mit beschränktem Flächenbedarf
und der Möglichkeit der vertikalen Stapelung von
Produktionsflächen.
Als räumliches Zentrum dieser Verlagsproduktion sind in
Wien der 6. und 7. Bezirk anzusehen. Zurückblickend auf
Manufakturen aus der vorindustriellen Ära vor allem im
Textil- und Lederbereich (- wie der Seidengrund in Neubau - )
hatten hier die Verlags- und Handelshäuser ihren Sitz.
Durch das Stadtwachstum wurde das zuliefernde Kleingewerbe
über den Linienwall in die angrenzenden Vororte
abgedrängt, wo sie mit den direkt an lokale Konsumenten
verkaufenden Handwerkern in den nun immer dichter besiedelten
Vororten eine durchmischte urbane Vorstadtstruktur
herausbildeten.
Im Umfeld dieser Verlagswirtschaft, die noch bis in die
Anfänge der 1. Republik wirtschaftliche Bedeutung hatte,
entwickelte sich ein außergewöhnliches, komplexes
Stadtgewebe der räumlichen, sozialen und gesellschaftlichen
Beziehungen, das in seiner Mikrostruktur bis heute in diesem
Bereich der Stadt nachhallt.
Erst die grundlegende Umstrukturierung der Warenproduktion im
Zuge der sprunghaft wachsenden Weltwirtschaft der
Nachkriegsära führte zu einer spürbaren
Entmischung dieses von Arbeiten und Wohnen kleinräumig
durchsetzten Stadtareals. Zahllose Klein- und
Kleinstproduktionsstätten wurden aufgelassen.
Es lassen sich 2 Tendenzen auszumachen.
Zum einen erfreut sich der dem Zentrum zugewandte Bereich des
6. und 7. Bezirks als urbaner Wohn- und Lebensraum einer
überdurchschnittlich hohen Nachfrage unter jungen
stadtorientierten Menschen. Wobei neben der Lagegunst, die in
Restbeständen noch vorhandene, kleinteilige und
vielschichtige Infrastruktur wesentlichen Anteil hat - und ein
neu begonnenes Experiment der Verquickung von Wohnen und Arbeiten
anregt.
Die letzten 15 Jahre sind von einem wahren Adaptierungsboom
von ehemals gewerblich genutztem Raum zu erweiterten Wohnzwecken
gekennzeichnet, was eine empfindliche Anhebung der
Immobilienpreise und Mieten zur Folge hatte.
Zum anderen sind in den angrenzenden Gürtelbereichen der
Bezirke 15, 16 und 17 Verslumungstendenzen festzustellen. Die
voranschreitende Entmischung dieser Bezirke konnte nicht durch
eine kontinuierliche urbane Umnutzung aufgefangen werden.
Finanzkräftigere Bevölkerungsschichten wurden seit den
50-er Jahren in die, dem Zeitgeist entsprechenden Neubaugebiete
am Stadtrand oder gar in das Umland ins Eigenheim entlassen. Der
Leerraum wurde mit unterprivilegierten Mietern aufgefüllt.
Die Investitionsbereitschaft tendierte gegen Null.
Auf kommunaler Ebene wird seit einigen Jahren versucht
gegenzusteuern und mit gezielter Förderung von
Altbausanierung, Stärkung von Grätzelrevieren und
Ausbau des öffentlichen Verkehrs und des Grüns den turn
around zu schaffen. Die urbane Qualität dieser
Maßnahmen wird empirisch am Maß des
Bevölkerungsaustausches durch Ausgrenzung, Abschiebung und
Verdrängung zu beurteilen sein.
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